Paso Agua Negra oder das Ende unseres Guanakos
Der Paso Agua Negra ist mit 4.753 m der höchstgelegene Grenzübergang zwischen Chile und Argentinien – daher auch nur in den Sommermonaten ohne Schnee passierbar. Obwohl der Pass eine eigene Webseite hat, soll man nur alle 2 Stunden einem anderen Auto begegnen. Die extreme Herausforderung zieht allerdings immer mehr Radfahrer an, die den Pass innerhalb von 3 Tagen zu überqueren versuchen.
Für uns bzw. unser Auto stellt der Paso Agua Negra primär ein Hindernis zwischen unserem aktuellen Aufenthaltsort in Rodeo und Coquimbo dar, wo wir Karims Eltern besuchen wollen. Die Alternative ist leider nicht wirklich verlockender, würde sie doch einen Umweg von knapp 1.000 km bedeuten (zurück nach Mendoza und über Santiago weiter in den Norden).
Trotz gereinigtem Luftfilter starten wir gegen 8 Uhr morgens mit einem leicht mulmigen Gefühl zu unserem voraussichtlich letzten großen Abenteuer mit dem Coche de la Mierda. Noch einmal tanken (wer weiß, was uns da oben widerfährt), kurz die argentinische Grenzbürokratie über uns ergehen lassen und schon düsen wir gen Anden. Zu unserer großen Überraschung ist die 80km lange Straße auf der argentinischen Seite richtig gut ausgebaut und es wird sogar überall gearbeitet (unsere bisherigen Eindrücke von argentinischen Baustellen, war eher das sich hier seit Jahren niemand mehr hat blicken lassen). Zwar traue ich mich nicht, den Wagen irgendwo auf den steilen Serpentinen anzuhalten – wer weiß, ob die Kiste wieder anfährt – aber unser Auto schlägt sich wacker und nach knapp 2 Stunden Fahrt erreichen wir den Scheitelpunkt.
Leider scheinen die Chilenen die Arbeiten am „bi-ozeanischen Korridor“ nicht so ernst zu nehmen, wie ihre argentinischen Kollegen. Der Weg macht der Bezeichnung „ripio“ (Schotterpiste) alle Ehre und trotz ganz langsamer Fahrweise, werden wir die nächsten Stunden wie ein Pisco Sauer durchgeschüttelt. Da es aber nun primär bergab geht, können wir regelmäßig anhalten und uns an der atemberaubenden Landschaft erfreuen. Jeder Berg oder Hügel erstrahlt in einer anderen Farbe und nach jeder Kurve wartet eine neue surreale Landschaft auf uns (wir schießen mehr als 300 Fotos). Selbst sogenannten Büßerschnee sehen wir aus nächster Nähe. Der Begriff für die Schnee- und Eispyramiden entstand, weil die geneigten Zacken an Büßer mit gesenktem Kopf und gebeugtem Rücken erinnern.
Nach gut 80km Rumpelpiste und einer Mittagspause mit Doro’s Apfelkuchen mitten in den Bergen erreichen wir den chilenischen Grenzposten in Juntas del Toro. Bisher reichen unsere Grenzerfahrungen von kompletten Desinteresse bei Rio Bellavista bis hin zu einem bürokratischen Chaos bei Rio Gallegos, aber immer – wirklich immer – waren die Grenzer super freundlich!
Somit fahren wir guter Dinge zum neuen, super schicken Grenzhaus. Hier werden wir von ungelogen 10 Zöllnern erwartet, von denen sich mindestens zwei ausgiebig mit einem neuen Highscore bei Candy Crush bzw. mit den neusten Grillvideos auf Facebook beschäftigen. Kein anderes Auto in Sicht und somit beginnen die Mitarbeiter den formalen Prozess Schritt für Schritt abzuarbeiten:
- Einem „freundlichen“ Grenzer geben wir voller Demut unsere Pässe, der alles ganz genau prüft, um sich dann zu erbarmen, diese sowie unseren Laufzettel und unseren PDI Wisch abzustempeln (letzterer ist für die Ein- und Ausreise in Chile nötig, sieht aber aus wie ein unwichtiger Kassenbon, weshalb wir den beim ersten Mal gleich weggeworfen hatten…) Anschließend widmet er sich direkt wieder seiner Whatsapp Konversation.
- An Station 2 treffen wir auf eine nicht minder gelangweilte Zöllnerin. Hier muss die Erklärung über Geld- bzw. Lebensmitteleinfuhr ausgefüllt werden (die Einfuhr von Milch- bzw. Fleischprodukten, Gemüse und Früchten sowie Honig ist strengstens untersagt und wird mit abstrus hohen Strafen geahndet). Dabei lernen wir, wie das Dokument ganz neu interpretiert werden kann. Bei „Herkunftsland“ sollen wir diesmal nicht etwa Deutschland eintragen wie bisher immer, sondern das Land aus dem wir einreisen. Durchstreichen darf man bei diesem höchst offiziellen Dokument neuerdings auch nichts, also alles noch einmal von vorne.
- Damit sich die Grenzer bei der Autokontrolle schnell genügsam zeigen, haben wir immer ein wenig Obst oder Gemüse zum „opfern“ dabei. Heute etwas Knoblauch und Ingwer. Dieser wird nicht wie sonst einfach in den Mülleimer befördert, sondern mit einer Briefwage (!) gewogen, wie ein Beweisstück in einen Beutel gepackt und verwahrt. Und damit nicht genug: Unser Auto wird von den beiden Damen aufs Gründlichste untersucht – wir könnten ja unter den Fußmatten noch etwas Knoblauch versteckt haben – während wir zum ersten Mal auch unsere beiden Koffer + Tüte mit Schmutzwäsche wie am Flughafen durchleuchten lassen müssen. Der Herr, der die wichtige Aufgabe hat das Gerät zu bedienen, geht nach seinem 5-minütigen Einsatz schnell wieder zu seinem Handyspiel über.
Alles erledigt, wir können los? Leider nein, denn die beiden vorbildlichen Mitarbeiterinnen haben vorne an unserem Auto den Guanakoschädel entdeckt, den wir seit 2 Monaten mit uns führen. Hier helfen weder Erklärungen „ist chilenisch“ und „hat noch nie jemanden gestört“ noch nette Worte „ich häng da dran“ und nach mehr als 10.000 km müssen wir uns von unserem „Glücksbringer“ an der letzten Grenzüberfahrt verabschieden.
Liebes Guanako,
seit den stürmischen Tagen auf Feuerland hast Du uns in den letzten Monaten tapfer den Weg gewiesen, Mücken gejagt und fast jeden Polizisten, Grenzer oder Guardaparque zum Lachen gebracht. Lebe wohl, Du treuer Begleiter!
In tiefer Trauer
Kathrin, Felix und der Hyundai Terracan.